In den letzten Tagen hat der nordrhein-westfälische CDU-Fraktionsvorsitzende, Herr Löttgen, Thomas Kutschaty einen „Fragenkatalog“ per Mail geschickt. Heute hat Herr Kutschaty geantwortet. Wir wollen Ihnen die Antwort nicht vorenthalten.
Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender, lieber Kollege Bodo Löttgen, vielen Dank für Ihr Schreiben vom 22. April, auf das ich Ihnen gerne antworte. Der russische Angriffs- und Vernichtungskrieg in der Ukraine ist ein Verbrechen historischen Ausmaßes und die größte Herausforderung für Europa und die freie Welt seit dem Ende des Kalten Krieges – vielleicht sogar seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Der Bundeskanzler hat die Position Deutschlands, der Europäischen Union und der NATO in aller gebotenen Klarheit formuliert: Der russische Angriffskrieg muss scheitern. Die russischen Truppen müssen sich aus der Ukraine zurückziehen. Ein Diktatfrieden ist inakzeptabel. Allein die Ukraine kann die Bedingungen für einen Frieden formulieren, niemand anderes. Deutschland, Europa und die NATO werden die Ukraine befähigen, sich in Zukunft selbst zu verteidigen. Deutschland steht als Garantiemacht bereit. So lange der Krieg andauert, wird Deutschland in enger Kooperation mit seinen Verbündeten dafür sorgen, dass die Ukraine ausreichend Waffen und Geld erhält, um den Aggressor zu bekämpfen. Unsere scharfen Wirtschaftssanktionen bestehen fort. Deutschland wird schnellstmöglich den Import von russischem Öl, Kohle und Gas beenden. Ich bin in einem engen Austausch mit den Gewerkschaften, der Wirtschaft und den Energieunternehmen zu den großen Herausforderungen, die dieser Schritt bedeutet. Die Unterstützung der Ukraine ist von großem nationalem und europäischem Interesse. Genauso wichtig ist es, eine Eskalation des Krieges zu verhindern. Deutschland und die NATO sind keine Kriegsparteien und sie dürfen auch nicht zur Kriegspartei werden. Das ist die Position der Bundesregierung, der Europäischen Union und der NATO. In dieser historischen Stunde Europas ist es von größter Wichtigkeit, dass sich eine große Mehrheit aus allen demokratischen Parteien hinter der Position Deutschlands versammelt und die Bundesregierung dabei unterstützt, ihre Ziele zu erreichen. Ich hoffe, wir sind uns darin einig, dass Wahlkampf mit Krieg unanständig wäre. Wie Sie richtig schreiben, bewerbe ich mich um das Amt des Ministerpräsidenten in Nordrhein-Westfalen, ein Amt das – wie Sie ebenfalls hervorheben – mit großer Verantwortung verbunden ist. Ich treffe bei meinen Terminen viele Bürgerinnen und Bürger, die sich große Sorgen machen, nicht nur vor dem Krieg. Sie sorgen sich um ihren Arbeitsplatz. Sie haben Angst, ihre Wohnung nicht mehr bezahlen zu können. Sie sehen den schlechten Zustand unserer Schulen und fürchten sich um Bildungschancen ihrer Kinder. All diese Menschen sind der Meinung, dass die amtierende Landesregierung ihrer Verantwortung für das Land nicht gerecht wird. Wie kann das auch anders sein? Während der schlimmsten Flutkatastrophe in der Geschichte des Landes mit 49 Toten, während Menschen bis zu den Knien im Schlamm steckten und um ihre Existenz kämpften, flogen die zuständigen Ministerinnen nach Mallorca. Die Hilfe, die sie einst den Flutopfern versprachen, ist bis heute noch nicht überall angekommen. Die Frage, warum die Menschen in der Krisenregion nicht früh genug gewarnt wurden – was vielleicht Leben gerettet hätte – ist bis heute noch nicht geklärt. Schon während der Corona-Pandemie gerieten CDU-Parlamentarier aufgrund obszöner Maskendeals unter Korruptionsverdacht. So ist das Bild einer Regierungspartei entstanden, deren Mitglieder sich an Krisen bereichern, nach Katastrophen auf Urlaubsinseln feiern und die Öffentlichkeit über all diese Dinge täuschen. Die großen Probleme des Landes – Wohnungsnot, Pflegenotstand, Lehrermangel – bekommt sie derweil nicht in den Griff. Das Bild der CDU ist das einer – auch moralisch – überforderten Partei. Sie haben mich nach meiner Meinung zu Nord Stream 2 gefragt. Im Gegensatz zu Armin Laschet habe ich mich für das Pipeline-Projekt nie eingesetzt. Neben Armin Laschet hat sich dafür etwa ihr Parteifreund Philipp Amthor in seiner Rede im Bundestag am 19.11.2020 für das Pipelineprojekt stark gemacht. Da sagte er: „Die Fertigstellung dieser Pipeline liegt nicht nur im russischen Interesse, sie liegt vor allem im Interesse der Bundesrepublik Deutschland.“ Genauso wie ihr Kollege Dr. Andreas Lenz in seiner Rede im Bundestag am 18.09.2020. Da stellte er fest: „Nord Stream 2 leistet einen Beitrag zu mehr Versorgungssicherheit in Deutschland und in Europa“ Die Arbeiter bei ThyssenKrupp wären dankbar wenn sich ein NRW-Ministerpräsident mit der gleichen Energie für ihre Arbeitsplätze eingesetzt hätte. Den gibt es aber nicht. Und damit sind dann auch die Gründe für die überaus geringe Regierungszufriedenheit in Nordrhein-Westfalen benannt. Es wäre nun im Interesse der CDU, dieses schlechte Bild zu korrigieren: zum Beispiel durch eine ehrliche Aufarbeitung des Regierungsversagens, der Skandale und Affären, natürlich auch durch Erfolge in der Sachpolitik. Allerdings ist dafür wenige Wochen vor einer Landtagswahl keine Zeit mehr. Der Machtverlust droht. Die NRW-CDU schlottert vor Angst. Und so ist die Versuchung groß, mit Schmutzkampagnen von eigenem Versagen abzulenken. Nach der Lektüre ihres Briefes liegt der Verdacht nahe, dass Sie dieser Versuchung erlegen sind. Deshalb möchte ich eines betonen: Sie haben gewiss allen Grund, die Verbitterung der Flutopfer zu fürchten, die Verärgerung von Lehrkräften, Erzieherinnen und Erziehern und Eltern, die Angst und Unzufriedenheit von Mieterinnen, Mietern und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Ihre Verleumdungskampagne fürchten wir nicht. Seit unserer Gründung vor fast 160 Jahren werden solche Kampagnen gegen die Sozialdemokratie geführt, immer mit der gleichen Verleumdung. „Verrat“ rufen seitjeher die Kommunisten, „Vaterlandsverräter!“ seitjeher Konservative, Nationalisten und Nazis. Für ihren Kampf um Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit sind Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten geschmäht und verfolgt worden. Nicht nur im Kaiserreich, nicht nur während der Nazi-Herrschaft. Als tausende Sozialdemokraten in den Kerkern der Stasi saßen, beklatschte die Ost-CDU die SED in der Volkskammer der DDR. Von Konservativen braucht die SPD keine Belehrungen über die Gefahren totalitärer Regime. Mitglieder unserer Partei haben ihren Kampf gegen Kommunismus und Nationalsozialismus mit dem Leben bezahlt. Aber am Ende war die Sozialdemokratie immer stärker als die Feinde der Freiheit. Doch auch in der jungen Bundesrepublik setzten Konservative ihre Verleumdungskampagnen gegen die Sozialdemokratie fort. Konrad Adenauer schreckte sogar vor Straftaten nicht zurück, um die SPD zu bekämpfen. Er beauftragte den Geheimdienst damit, die SPD auszuspionieren und ihre Arbeit zu sabotieren. Willy Brandt wurde in den 1960er Jahren von CDU-Vertretern als „Vaterlandsverräter“ verleumdet, weil er vor den Nazis fliehen musste, die SPD als „fünfte Kolonne Moskaus“ verunglimpft. Doch auf Dauer nutzte das alles nichts. Willy Brandt wurde am 21. Oktober 1969 zum vierten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschlands gewählt. Ein Verfolgter des NS-Regimes war nun Regierungschef. „Heute hat Hitler den Krieg endgültig verloren“, sagte Brandt über diesen Tag. Und so war es auch. Für seine Ostpolitik wurde Brandt von CDU-Seite einmal mehr des „Verrats“ bezichtigt. Das Norwegische Nobelkomitee verlieh ihm dafür den Friedensnobelpreis. Doch die Schmähungen ebbten danach noch lange nicht ab. Brandt erging es wie allen deutschen Friedensnobelpreisträgern zuvor, wie Gustav Stresemann, Ludwig Quidde und Carl von Ossietzky. Für Rechte und Ganzrechte konnte ein Sozialdemokrat nur ein Vaterlandsverräter, ein Agent Moskaus sein. Die NRW-CDU will offenbar wieder an ihre ehrlose Tradition übler Schmutzkampagnen anknüpfen. Ist Ihre Lage wirklich so verzweifelt? Fürchten Sie den Unmut der Menschen in Nordrhein-Westfalen so sehr, dass Sie sich nicht mehr anders zu helfen wissen? Wie gesagt: Wir fürchten Ihre Kampagne nicht. Die SPD hat schon viele davon überstanden. Wir werden auch diese mit Erfolg überstehen. Ich bin mir dessen auch deshalb so sicher, weil in der Russlandpolitik kein deutscher Landesverband so wenig Glaubwürdigkeit besitzt wie die NRW-CDU. So russlandfreundlich wie die NRW-CDU war ansonsten nur die CSU, die seit 2014 regelmäßig das Ende aller Russlandsanktionen forderte und genauso regelmäßig Putin ihre Ehrerbietungen darbrachte. Am 12. September 2015 verteidigte der Vorsitzende der NRW-CDU, Armin Laschet, die russischen Luftangriffe in Syrien: „Lösung in Syrien gibt es nur mit Russland“, schrieb er auf Twitter. Diese „Lösung“ bestand in grausamen Menschenrechtsverletzungen und brutalen Flächenbombardements mit tausenden Toten. Doch vor lauter Nachsicht mit dem Putin-Regime blickte der Vorsitzende der NRW-CDU darüber hinweg. Das war kein Einzelfall. Am 4. März 2018 verübte der russische Geheimdienst ein Attentat auf den Ex-Agenten Skripal und dessen Tochter. Die beiden überlebten nur knapp. Doch Armin Laschet sprang der russischen Regierung bei, wie es sonst nur Gerhard Schröder, Sarah Wagenknecht oder Gregor Gysi tun: Die britische Regierung solle doch bitte Beweise vorlegen, schrieb er auf Twitter, sonst gäbe es keine Solidarität. Offenbar wollte er Putin mehr Glauben schenken als unseren Freunden in Großbritannien. Immer wieder verteidigte er zudem das Pipeline-Projekt Nord Stream 2, suchte in der Russlandpolitik den Schulterschluss mit Gerhard Schröder und forderte engere Beziehungen zu Russland. Ernstzunehmende Kritik am Regime in Moskau ist nicht überliefert. In Nordrhein-Westfalen hat es in den vergan-genen Jahren keine demokratische (Landtags-)Partei gegeben, die so russlandfreundlich war wie die NRW-CDU unter Armin Laschet. Und alle in der CDU haben den Russlandkurs des Vorsitzenden unterstützt, inklusive des heutigen Fraktionsvorsitzenden Bodo Löttgen und des heutigen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst. Wie konnte es dazu kommen? Hat es jemals Kritik am russlandfreundlichen Kurs der Landespartei gegeben? Wenn nein, warum nicht? Wird das jetzt aufgearbeitet? Es wäre gut, wenn Sie der Öffentlichkeit alsbald diese Fragen beantworten, denn ansonsten müssten die Menschen in Nordrhein-Westfalen davon ausgehen, dass Ihre Kampagne gegen die SPD nicht nur infam, sondern auch heuchlerisch ist. Um eines auch klarzustellen: In den vergangenen Jahren – spätestens seit 2014 – sind in der Russland- und Energiepolitik schwere Fehler begangen worden. Für diese Fehler tragen alle Parteien Verantwortung, die in diesen Jahren die Bundeskanzlerin und die Außenminister gestellt haben. Aus diesen Fehlern sind jetzt Konsequenzen zu ziehen. Die Bundesregierung handelt. Sie verdient die Unterstützung aller Demokratinnen und Demokraten: Für die Freiheit der Ukraine und den Frieden in Europa. Beidem ist die SPD verpflichtet. Lieber Herr Löttgen, am 15. Mai werden die Wählerinnen und Wähler entscheiden. Ich bin optimistisch, dass die SPD diese Wahl gewinnen wird. Doch ganz gleich, wie die Wahl ausgeht: Wir werden Gewinner sein oder Verlierer. Aber wir werden keine schlechten Verlierer sein. Ich hoffe, die zweite Volkspartei in Nordrhein-Westfalen hat den gleichen Anspruch an sich selbst. Am Morgen des 16. Mai müssen auch Sie wieder in den Spiegel schauen, und ich wünsche Ihnen, dass Sie sich dann nicht schämen müssen. Mit freundlichen Grüßen Thomas Kutschaty |