100 Jahre SPD in Emsdetten
100 Jahre und einen Tag nach der ersten demokratischen Wahl in Deutschand startet die Emsdettener SPD mit einer Veranstaltungsreihe zu ihrem 100jährigen Jubiläum.
100 Jahre, das ist viel verglichen zu anderen heute in Emsdetten aktiven politischen Parteien und Gruppen, wenig im Vergleich zu den Anfängen der SPD 1863. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zum einen löste hier erst in den 1890er Jahren die Industrie im großen Maßstab die Heimarbeit ab. Zum anderen praktizierten auch viele der hiesigen Industriearbeiter einen fundamentalistischen Katholizismus. Ein erster Organisationsversuch SPD-naher Textilgewerkschafter stieß daher ins Leere, führte statt dessen zum beschleunigten Aufbau einer „Christlichen“ Gewerkschaft. Erfolgreicher war eine Veranstaltung von Bauhandwerkern, die 1904 etwa hundert Neugierige anzog. Zu einer lokalen Parteigründung kam es dennoch nicht, die Zahl der SPD-Wähler bei Reichstagswahlen blieb vor dem 1. Weltkrieg bei unter hundert. Offen muß dabei bleiben, in wieweit Wähler, die etwas anderes als das katholische Zentrum unterstützten, wegen der Aussichtslosigkeit gleich zu Hause blieben.
OV ein Kind der Novemberrevolution
Der Krieg änderte vieles. Tod und Hunger ließen die Mißbilligung der Nachbarn als ein geringeres Übel erscheinen. Frieden und Brot erforderten das Ende des Kaiserreichs und eine neue, demokratische Ordnung. So fanden sich wohl im Revolutionsmonat November 1918 endlich auch in Emsdetten Menschen, um gemeinsam eine SPD-Ortsgruppe zu gründen. Das genaue Datum kennen wir nicht. Weihnachten 1918 hielten sie ihre erste öffentliche Versammlung ab, angesichts des Wahlkampfes zur verfassungsgebenden Nationalversammlung folgten die nächsten innerhalb weniger Tage. Wir kennen einige Namen, die in dieser Gründungszeit eine Rolle spielten: Der Maurer Rudolf Schillhahn gehörte dem Arbeiterrat an, Josef Rohlmann leitete die Weihnachtsversammlung. Johannes Wiemeier sollte die Liste zur Kommunalwahl im März 1919 anführen. Der Kinobesitzer Wilhelm Wiedau sen. wurde vom Zentrum persönlich angegriffen, weil er der SPD fünf Mark gespendet hatte. Bei den Januarwahlen erhielt die SPD in Emsdetten 654 Stimmen, kurz darauf bei den ersten freien Kommunalwahlen vier von achtzehn Mandaten in der Gemeindevertretung. Einen besonderen Höhepunkt der SPD-Aktivitäten in den frühen 1920ern bildete am 31. August 1921 eine Demonstration zum Brink mit etwa 200 Teilnehmern. Anlaß war das Bekenntnis zur Republik nach der Ermordung des Zentrums-Politikers Matthias Erzberger, dessen Tod das hiesige Zentrum zu keiner öffentlichen Reaktion bewog.
Auf dem guten Start konnte die SPD nicht aufbauen. Die Christliche Gewerkschaft konnte mit einer Mischung aus kompetenter wirtschaftlicher Interessenvertretung und der Verleumdung aller linken Strömungen weiterhin die Mehrheit der Arbeiterschaft an sich und damit an das Zentrum binden. Ausgesprochene Protestwähler fühlten sich eher von den Kommunisten angesprochen. Im Gegensatz zu Orten, an denen bereits im Kaiserreich eine starke SPD gewesen war, konnte die Politik in Emsdetten auch nicht auf ein Netzwerk SPD-naher Vereine wie der Naturfreunde oder der AWO zurückgreifen.
So kam es, daß die Emsdettener SPD schon vor dem Verbot 1933 ihre Arbeit aufgegeben hatte. Unter der Nazi-Herrschaft hieß es für die ehemaligen Aktiven einfach zu überleben.
Friedrich Tomzick, der den Ortsverein bereits Ende der 1920er Jahre geleitet hatte, organisierte die Neugründung im Sommer 1946. Aus Gesundheitsgründen mußte er bereits nach wenigen Monaten den Vorsitz wieder abgeben, die wichtigsten Aktiven der Nachkriegszeit waren Bernd Hölscher, Theodor Schmedding und Karl König.
Erfolgreicher Neustart 1946
Der größere Erfolg der Neugründung 1946 hatte verschiedene Ursachen. Das Glück, daß die Kommunisten nun keine ernsthafte Alternative mehr darstellten. Aber auch der schiere Fleiß, mit dem sich die Sozialdemokraten neben monatlichen „normalen“ Treffen in zusätzliche Schulungsarbeit stürzten.. Dazu, nach einiger Zeit, die Erfahrung einer Reihe von Flüchtlingen, die zu wichtigen Stützen für die politische Aufbauarbeit wurden.
Der erste echte Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. In der Kommunalwahl von 1948 erhielt keine Partei eine absolute Mehrheit. Vier Jahre, in denen wichtige Weichenstellungen getroffen wurden, konnte Emsdettens Lokalpolitik mit wechselnden Mehrheiten praktisch Demokratie lernen. Während eines dieser Jahre standen sogar zwei Sozialdemokraten an der Spitze des Gemeinwesens: Josef Stegemann als Stadtbürgermeister und Theodor Schmedding als Amtsbürgermeister.
Inhaltlicher Schwerpunkt war der Wohnungsbau, immer begleitet von einem Thema, das heute als selbstverständlich gilt: Der Versorgung der Neubaugebiete mit Wasser und Kanalisation. Darauf mußten manche lange warten. Ein anderer Schwerpunkt lag bei der Interessenvertretung für die evangelische Minderheit, besonders beim Schulbau.
Modernisierung
Als um 1960 die allerschlimmste Wohnungsnot beseitigt war, rückte das Schlagwort der Modernisierung in den Mittelpunkt. Das galt für Emsdettens Wirtschaftsstruktur, wo sich die Textilkrise anzukündigen begann, ebenso wie etwa für die Innenstadt und die Arbeit der städtischen Verwaltung. Wie anderswo profitierte auch in Emsdetten die SPD von dem sich drehenden politischen Wind Ende der 1960er Jahre. Die Hälfte der 1969 für die SPD kandidierenden war nicht älter als 40. Jahrzehnte später als anderswo entstand eine AWO-Gruppe. In den ersten Jahren der Regierung Brandt schnellte die Mitgliederzahl auf über 300 hoch, es entstand viel Platz für neue Ideen und lebhafte Debatten. Kommunalpolitisch ging es um einen bedarfsgerechten Ausbau der Kindergärten und erstmals auch um Umweltschutz. Die Innenstadt sollte vom Autoverkehr befreit werden und die Industrie für die von ihr verursachte Verschmutzung zur Kasse gebeten werden. 1975 konnte die SPD ihren Stimmenanteil deutlich auf 38,7% steigern. Die absolute CDU-Mehrheit konnte sie aber erst neun Jahre später durch das Erscheinen der Grünen brechen. Die Wahl von 1984 bescherte der SPD die bisher höchste Zahl an Direktmandaten. In den schwersten Zeiten des Strukturwandels, als die Arbeitslosigkeit auf 15% kletterte, betrieb die neue Mehrheit die soziale Modernisierung Emsdettens. Dazu gehörten besonders Investitionen ins Bildungswesen, wenn es auch nicht gelang, die gewünschte Gesamtschule zu etablieren.
Die sehr mitgliederstarke Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen hielt engen Kontakt zu den Gewerkschaften und bearbeitete wirtschafts- und sozialpolitische Fragen. Es war auch die Zeit, als die Emsdettener SPD sich mit großen Sommerfesten bei vielleicht weniger politischen Mitbürger/innen bekannter machte. Und es war die Zeit, als die Frauen sich auch hier vermehrt Gehör verschafften.
Mit der rot-grünen Mehrheit war es in den 1990er Jahren wieder vorbei, aber viele Anstöße, etwa für ein Bürgerzentrum und eine öffentliche Bibliothek, für die gezielte Förderung jugendlicher Arbeitsloser, waren unumkehrbar und erwiesen sich in der Folge als wichtige Bereicherung des städtischen Lebens.
Der Titel diese Beitrags ist dem Wahlaufruf von 1956 entlehnt.
Wer ausführlicher über die Geschichte der Emsdettener SPD Bescheid wissen möchte, kann vom 20. Januar an die zu diesem Anlaß erstellte Chronik erhalten.