Barley-Besuch in Emsdetten

SPD Emsdetten begrüßt Spitzenfrau

In einer mitreißenden Rede stimmte Katharina Barley, Bundesjustizministerin und Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl, das Publikum in beim Neujahrsempfang der SPD auf die bevorstehende Richtungsentscheidung für die Demokratie auf unserem Kontinent ein.
Zunächst aber gratulierte sie dem Ortsverein zu seinem hundertjährigen Geburtstag, nicht ohne einen Hinweis darauf, dass diese Zeit deutschlandweit mit der Wahl zur Verfassungsgebenden Nationalversammlung übereinfiel: Der ersten Wahl, an der sich erstmals auch Fürsorgeempfänger, Soldaten, Männer unter 25 Jahren, aber vor allem auch Frauen beteiligen durften, und es zu annähernd 90% auch taten.

Quotierung weiter nötig

In der Praxis sollte sich leider zeigen, daß es für Deutschlands Frauen ebenso mühevoll und langwierig werden sollte, auf diesem Erfolg aufzubauen, wie dorthin zu gelangen. Erst die sozialliberale Koalition veränderte in den 1970er Jahren das diskriminierende Familienrecht, erst mit Einzug der Grünen 1983 erreichte der Bundestag dauerhaft einen Frauenanteil, der über dem der Weimarer Nationalversammlung lag. Der Grund, erläuterte Barley, war die Frauenquote, die auch die SPD dann 1988 einführte. Bis heute seien es Union, FDP und vor allem die seit 2017 AfD, die den Frauenanteil senkten. Deshalb sei es legitim, heute laut darüber nachzudenken, ob nicht eine parteiübergreifende Quote für Parlamentsmandate eingeführt werden müsse. Hundert Jahre Erfahrung hätten gezeigt, dass geduldigen Warten auf einen Wandel eben nicht genüge. Weiter entscheiden männlich dominierte Gremien über Lebensbereiche, die überwiegend Frauen betreffen.
So unzulänglich die Vertretung von Frauen im Bundestag ist, an den Schaltstellen der Wirtschaft ist es um die Gleichstellung noch sehr viel schlechter bestellt. Appelle und auf Freiwilligkeit beruhende Absprachen hätten hier weder eine Besserung in den Führungspositionen herbeigeführt, noch die finanzielle Gleichstellung weiblicher Arbeit erreicht. Weiterhin verdienten Frauen pro Stunde circa 20% weniger als Männer, mit allen Folgen für die spätere Rente.

Europa muß wieder solidarisch denken

Hat Gleichberechtigung auch etwas mit Europa zu tun? Ja, sagte Katharina Barley. Nicht nur, weil deutsche Frauen Unterstützung durch europäisches Recht erhielten, sondern selbst außerhalb der EU-Grenzen. Es war europäischer Druck, der den Schweizer Kanton Appenzell bewog, Jahrzehnte nach allen anderen auch das Frauenwahlrecht einzuführen. Wenn Europa so viel friedensstiftendes und progressives Potential hat, warum ist es dann in den letzten Jahren in so vielen Ländern zum Buhmann geworden, bis hin zum Brexit? Barley identifizierte zwei Hauptfaktoren. Neoliberale Akteure hatten seit Margaret Thatchers „I want my money back“ die Gewohnheit angenommen, die EU nicht mehr als solidarisches Gemeinschaftsprojekt anzusehen, sondern als eine Arena, um sich auf Kosten anderer zu profilieren und für sich materielle Vorteile herauszuschlagen. Dabei gerate gerade auf deutscher Seite schnell in Vergessenheit, wie sehr man selbst auf EU-Hilfe angewiesen war, zum Beispiel in den 1990er Jahren für den Aufbau der neuen Bundesländer.
Auch in der Flüchtlingsfrage habe Deutschland jahrelang die Leistung und Aufnahmebereitschaft der Staaten entlang des Mittelmeeres ignoriert, schlimmer noch, in der Finanzkrise ihnen die nötigen Gelder entzogen, die sie für diese humanitären Aufgaben benötigten. Damit habe es ohne Not radikale und nationale Kräfte gestärkt, die heute die Rechtsstaatlichkeit in ihren Ländern und in Europa in Frage stellten. Die SPD habe in den Medien derzeit wenig Freunde. Umso wichtiger sei es, dass die Mitglieder selbst in die Öffentlichkeit träten, deutlich machten, dass sie immer noch die mitgliederstärkste Partei Deutschlands sind und Werte verkörpern, die Unterstützung verdienen.
Die Zeit des passiven Zuschauens sei vorbei. Jetzt gelte es umzukehren. „Europa muss den Geist der Solidarität wieder entdecken“, appellierte Barley. „Das heißt auch, nicht ganze Länder schlecht zu machen oder gar gegenüber den fragilen jungen Demokratien als rechthaberische Besserwisser aufzutreten. Auch dort gibt es Freundinnen und Freunde von Rechtsstaatlichkeit und Europa, die unsere Freundschaft ohne Eigennutz und Hintergedanken verdienen.“
(Fotos: Gerd Endemann)